Julia Reichert

Direktion & Dramaturgie

Warum Neumarkt?
Weil sich Publikum und Bühne nirgends so nah sind. Weil ich glaube, dass eine Institution gleichzeitig künstlerische und soziale Heimat und Ort der permanenten (produktiven) Verunsicherung sein kann. Weil Energien und Ideen sich hier schneller und konkreter übertragen als an jeder anderen Bühne, die ich kenne. Weil es am Neumarkt sowohl ein umfassendes Wissen gibt, aber auch die Bereitschaft, zu vergessen, was man gelernt hat, und von vorne zu beginnen. Im Wissen um die Tradition. Weil es eine Lücke im Markt ist und ein institutionalisiertes Experiment, seit Jahrzehnten. Weil hier alle einfach mitreden. Zurecht. Weil da ein Team zusammenkommt, dass sich in noch gar nicht imaginierbaren Weisen gegenseitig inspirieren, fordern und fördern wird. Weil unter den Dielen noch Exemplare einer Arbeiterzeitung aus den 20ern die Zeit überdauern & weil der Kopierer in den 80er Jahren nicht nur Programmhefte, sondern auch Flugblätter ausgespuckt hat. Weil die Werkstätten alles bauen können, und es am Ende doch zwei Mann die Treppe hochtragen müssen. Weil die Gleichzeitigkeit von totalem So Tun als Ob und der ganz konkreten Zusammenarbeit von verschiedenen Menschen, Fähigkeiten, Agenden und Perspektiven der schönste Spielplatz ist für utopische Erzählungen und Versuchsanordnungen, auf und hinter der Bühne, bereitstellt, und man die Utopie dennoch an jeder Entscheidung und immer in Auseinandersetzung und Dialog überprüfen muss. Weil einem der Saal keinen falschen Ton durchgehen lässt.

Worauf bist du stolz?
Auf gute Theaterabende und gute Teams, auf die Strecke Àlftavatn – Landmannalaugar, auf Bahia Windhound & den Abstieg vom Schölljoch, auf meine Uniform & jedes gelöschte Feuer, auf Momente, in denen ich trotzdem grosszügig war, und jeden Moment, bei dem ich daran beteiligt war, dass jemand besser wurde als er oder sie dachte, sein zu können (mich eingeschlossen).

Was war der beste Rat, den du erhalten hast?
Pick your battles, kiddo.

Wofür gibst du dich hin?
LOVE PLAY FIGHT.

Wie schützt du dich?
Liebe, Freunde, Überzeugungen.

Was lernt man am Theater?
Grössenwahn, Demut, Teamwork.

Uber or Taxi?
TAXI!

Dein Lieblingswort?
Huuppelisa.

Was würdest du dem Tod gerne einmal unter vier Augen sagen?
«Aber so ist das Leben.»

Welches Kunstwerk würdest du besitzen wollen?
«Perro semihundido» von Goya.

Welches Buch liegt auf deinem Nachttisch?
«Overstory» von Richard Powers.

Biografie
Julia Reichert, geboren 1983 in München, arbeitet seit 2008 an verschiedenen Stadttheatern in Deutschland und in der Schweiz, darunter die Münchner Kammerspiele und das Theater und Orchester Heidelberg. Sie interessiert sich insbesondere für Theater als soziale Kunst und die Peripherien des institutionellen Theaterbetriebs, performatives Lernen und situatives Verstehen. 2011 bis 2013 war sie als Dramaturgin am Theater Neumarkt tätig (arbeiten mit Barbara Weber, Rafael Sanchez, Milo Rau, u. a.), danach am Schauspielhaus Zürich (Arbeiten mit Réne Pollesch, Antu Romero Nunes, Theater Hora/Monstertruck, u. a.) und am Theater Freiburg (Arbeiten mit Heike M. Goetze, Sylvia Sobottka, u. a.). 2016 folgte sie der Einladung Regula Schröters, als Dramaturgin die Schauspielsparte des Luzerner Theaters mit neu auszurichten (Arbeiten u. a. mit Bruno Cathomas, Felix Rothenhäusler, Ivna Žic). In der Spielzeit 2017/18 übernahm sie interimistisch die Leitung der Schauspielsparte des Luzerner Theaters.

Foto: © Flavio Karrer